BDSM
Roman
Geschichte der O
Pauline Reage
Die O
Sadomasochismus
SM-Comic
Eine Hommage an einen literarischen Fetisch
Die Geschichte der O und ihr Einfluss auf die BDSM-Szene.
Eine Hommage an einen literarischen Fetisch.
Als 1954 das Buch Die Geschichte der O unter dem Pseudonym Pauline Réage erschien, schlug es wie ein Blitz in die literarische Landschaft ein (lange vermutete man einen männlichen Verfasser hinter dem Pseudonym). In einer Zeit, in der sexuelle Freiheiten noch in engen gesellschaftlichen Konventionen gefangen waren, wagte dieser Roman den verwegenen Schritt in die Welt des Sadomasochismus. Was damals als Skandal galt (der Roman stand in Deutschland von 1954 bis 1991 auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften), ist heute ein Klassiker der erotischen Literatur, der unsere Szene nachhaltig beeinflusst hat. Die Nicknamen etlicher Mitglieder: wie Sir Stephen (in allen Schreibweisen) und insbesondere die Vorliebe für Adelstitel im Nick einerseits und das O im Nick submissiver Frauen andererseits, zeugen davon.
Doch worin genau liegt die Bedeutung dieses Werkes, und wie hat es die Wahrnehmung von BDSM über Generationen hinweg geformt?
Die Geschichte der O ist mehr als nur eine erotische Fantasie; sie ist eine tiefgehende Untersuchung von Macht, Kontrolle und Identität. Die O begibt sich freiwillig in ein System absoluter Unterwerfung. Die Kompromisslosigkeit, mit der das Buch die Beziehung zwischen Dominanz und Submission schildert, war und ist für viele Leserinnen und Leser verstörend, für andere jedoch eine Offenbarung.
Innerhalb unserer BDSM-Szene etablierte sich das Werk als eine Art literarisches Manifest, das nicht nur Fantasien beflügelte, sondern auch Diskurse anregte. Viele BDSMer fanden in Os Geschichte eine sprachliche und gedankliche Vorlage für ihren eigenen Lifestyle oder Sehnsüchte. Das Buch stellte BDSM nicht als bloße Perversion dar, sondern als eine tiefgehende Form zwischenmenschlicher Beziehungen, die auf Einvernehmen und emotionaler Intensität basiert.
Über die Jahrzehnte hinweg blieb Die Geschichte der O eine Quelle der Inspiration und ein Bezugspunkt für Diskussionen über die Natur der Dominanz und Submission. Gerade in den 1970er- und 1980er-Jahren, als feministische und sexuelle Befreiungsbewegungen aufkamen, diente das Buch als Zündstoff für Kontroversen: War O eine Ikone weiblicher Selbstbestimmung oder ein Paradebeispiel für patriarchale Unterdrückung? Diese Ambivalenz macht den Roman bis heute kontrovers.
Mit dem Aufkommen des Internets und der zunehmenden Vernetzung der BDSM-Community in den frühen 2000ern wurde der Einfluss des Buches nochmals verstärkt. Diskussionsforen, Blogs und Literaturzirkel befassten sich mit Os Geschichte und diskutierten die darin dargestellten Machtstrukturen. Viele Begriffe und Bilder aus dem Roman flossen in das kollektive Vokabular der Szene ein und beeinflussten sowohl das Selbstverständnis als auch die ästhetische Darstellung von BDSM. Es entstanden z.B. Veranstaltungskonzepte wie „Abende der O“, „Aubildungsreihen zur O“, modische Trends wie „O-Kleider“ und Schmuck wie ein „Ring der O“, „Halsreif der O“ oder „O-Plaketten“.
Trotz seines Einflusses auf die Szene ist Die Geschichte der O begreiflicherweise kein unumstrittenes Werk. In einer Zeit, in der Begriffe wie „Safe, Sane & Consensual“ (SSC) und „RACK“ (Risk-Aware Consensual Kink) zentrale Leitlinien der Szene bilden, wirkt die kompromisslose Darstellung von Os Ergebenheit für etliche BDSMer überholt. Die heutige BDSM-Community legt großen Wert auf informierte Einwilligung und bewusste Machtvergabe, was nicht mit den radikalen Szenarien des Buches im Einklang steht.
Gleichzeitig bleibt das Werk eine Quelle der Reflexion über die Natur von Lust, Macht und Hingabe. Viele moderne BDSM-Romane und Filme, von Fifty Shades of Grey bis zu deutlich pornografischeren Darstellungen, stehen in direkter oder indirekter Tradition der Geschichte der O. Auch wenn sich die Szene heute, in Teilen, deutlich von Inhalten des Romans distanziert, bleibt das Buch ein Eckstein der Szene.
Abschliessend kann man feststellen: Die Geschichte der O hat BDSM nicht erfunden, aber der Roman hat das Genre in eine literarische und philosophische Dimension gehoben, die bis heute nachhallt. Auch wenn es zahlreiche andere Werke gibt, die die BDSM-Szene prägen (wie z.B. die Gor-Romane von John Norman und die Romane des Marquis de Sade nicht zu vergessen), bleibt die O ein Archetyp – eine Figur, die in ihrer Radikalität verstört, fasziniert und immer wieder neu interpretiert wird.
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Weitere Infos
Das Comic: 1975 adaptierte der italienische Künstler Guido Crepax die Geschichte als Comic.
Verfilmung: 1975 wurde die Geschichte der O von Just Jaeckin mit Corinne Cléry und Udo Kier verfilmt.
Essay: 1967 schrieb Susan Sontag (eine der einflussreichsten Intellektuellen Amerikas und spätere Partnerin von Partnerin Annie Leibovitz) in Ihren Essay „Die pornographische Phantasie“ über „Die Geschichte der O“ und bescheinigt dem Buch eine hohe Literarische und philosophische Qualität.

